Krankenschwester in der ambulanten Versorgung lll

So muss personenorientierte Pflege aussehen: Altenpflegerin XY kümmert sich um jeden einzelnen Kunden ganz individuell und liebevoll. Dabei achtet sie auf die familiären Umstände und persönlichen Gegebenheiten. Warum XY keine Zungenzahnbürste mehr kaufen muss und wie die Stimmung im Team des Pflegedienstes Hessen-Süd ist, lesen Sie hier:

9:15 Uhr: Meine Runde ist weit fortgeschritten und ich komme zu einer Dame, die ich sehr gern mag. Sie äußert Schmerzen, hat eine Hilfe vor Ort, hat Kinder, die sich kümmern und lebt in Ihrem Haus in gut situierten Verhältnissen. Ich beginne meine Pflege vor Ort zu organisieren, fange ein Smalltalk-Gespräch mit ihr an und beziehe die Kundin in alle Pflegehandlungen mit ein. Dies mache ich deshalb, um vorhandene Schmerzen, die sie verbal äußert, einschätzen zu können. Ich erwarte viel von ihr, bin kritisch, lobe und motiviere sie. Während sie alles sehr kooperativ mit mir zusammen innerhalb des Pflegeprozesses bewältigt, fordert sie eine Pause. Sie sagt mit flehendem Blick zu mir: „Ich habe nicht immer Schmerzen, aber heute ist es kalt draußen und meine Schmerzen sind schlimmer als noch gestern!“

Ich sichere Frau G. im Toilettenstuhl in sitzender Position und klappe mir den Teil der Medikamentenverordnung, die der Hausarzt mit seiner Unterschrift angeordnet hat, auf und entdecke folgende Formulierung: „….bei Schmerzspitzen Gabe von…..!“

Mein Anspruch als Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege ist damit nicht bedient. Ich überlege kurz, wie ich weiter vorgehen werde und entscheide mich während des Gangs ans Waschbecken, alles weitere mit meinen beiden Pflegedienstleiterinnen im Büro abzusprechen.

Die weitere Pflege läuft sehr personenorientiert ab und auf Wunsch mache ich etwas mehr und auch etwas weniger. Wir lächeln zusammen und sind in diesem kleinen Bad sehr nah beieinander. Es ist nicht unangenehm jemand Fremden so nahe zu sein. Meine Nähe vermittelt Stärke und Verlässlichkeit, das spüre ich in genau diesem Moment. Die Nähe der Kundin mir gegenüber löst in mir einen Beschützerinstinkt aus, dem ich gerecht werden möchte. Es wird ein rundes Miteinander, was in einer herzlichen Verabschiedung endet: „Bis bald“.

11:30 Uhr: Die Tour nähert sich dem Ende, ich resümiere, mache mir Notizen was ich büro-organisatorisch alles für die darauffolgende Runde, die nach mir Morgen jemand anderes betreut, vorbereiten muss.

Die Rückfahrt findet stark in meinen Gedanken statt. In der Regel höre ich zu diesem Zeitpunkt keine Musik. Die Gedanken fliegen über „meine“ Pflegekunden hinweg. Es gab Überraschendes, Nettes, Beeindruckendes und nicht so Bennenswertes.

Es war meine Runde.“

11:50 Uhr: Mit allen Eindrücken und Einschätzungen, die ich jetzt kodiert und fundiert im Büro verantworten werde. Das Büro ist ein freundliches, buntes und offenes Netzwerk, was mich betriebsam mit einem freundlichen „Hallo“ empfängt. Ich tauche ein in ein Team. Jetzt bin ich erst mal nicht mehr allein bei den Pflegekunden, den Angehörigen, auf der Straße, die immer wieder für Überraschungen gut ist und auch nicht allein mit meinen Gedanken.

Ich arbeite gern eigenverantwortlich und fühle mich in meiner selbstständigen Arbeitsweise sehr wohl.

Alle nicht allein zu verarbeitenden Umstände von heute bespreche ich mit den anwesenden Verantwortlichen. Jeder hat Zeit für mich, das ist sehr angenehm. Ein gewisser Druck baut sich in mir ab, den ich vorher nicht wahrgenommen habe.

SCHÖN, dass ich hier in diesem Team arbeite!“

12:15 Uhr: Alle Büroarbeiten sind erledigt und in den Fächern der Kollegen verteilt, das Übergabe-Buch hat zwei Einträge von mir erhalten, mit einer Kollegin habe ich ein kurzes Privatgespräch geführt, der Kollegin, die morgen meine Runde fährt, gebe ich kurze zusätzliche Eindrücke, die über das Übergabe-Buch hinausgehen mit auf den Weg. Ich schätze diese Kollegin sehr und reflektiere mit ihr ein, zwei Besonderheiten zu Pflegekunden.

Am nächsten Tag werde ich ganz woanders sein, was ich als Herausforderrung ansehe und nicht als Belastung.

Ich erkunde den aktuellen Dienstplan für den nächsten Tag und stelle fest, dass ich morgen eine viertel Stunde länger schlafen kann, „Super, ich freu mich!“

Alles, was danach kommt, ist privat. So sieht es von außen aus. Aber ein, zwei Stunden danach gehen mir manche menschliche Begegnungen von heute Morgen noch mal durch den Kopf. Ich empfinde das als normal und nicht als belastend. Wenn mich ein Umstand nicht loslassen sollte, würde ich mit meinen nächsten Mitmenschen versuchen, darüber zu sprechen. Meine fast 20-jährige Berufserfahrung hat mir gezeigt, dass alles, was ich in Worte fasse, dass ich mich mitteile, geht somit ein Stück vor meinen Körper und macht Platz für neue Energie, die ich in meiner Familie, besonders bei meinem Sohn für mich bekomme. Spaziergänge mit meinem Hund und ausgelassene Gespräche mit interessanten Menschen beflügeln mich genauso, wie ein richtig gutes Buch, was mich gelegentlich Hausarbeit vergessen lässt.

Während meiner Privatbesorgungen suche ich vergeblich in diversen Drogerie-Ketten nach einer Zungenbürste für Frau D. . Ich verschiebe die weitere Suche auf den nächsten Tag.

Am nächsten Tag nach meiner Runde im Büro, lese ich im Übergabe-Buch, dass Frau D. plötzlich verstorben ist.

RUHE

Meine Kollegin kommt ins Büro. Sie hatte die Runde, die ich gestern hatte, und erklärt weiteres dazu. Es bedarf weniger Worte zwischen uns. Wir sind uns einig, dass dieses Ende plötzlich aber in Ordnung geht für uns in unserem Pflegeprozess mit der Familie und innerhalb unserer Werte.

Meine Suche nach der Zungenbürste ist damit beendet. Leider, aber ich bin im Rückblick mit allem zufrieden, wie ich diese eine Pflegekundin erleben durfte und deren letzten Lebensabschnitt begleitet habe.

Ein weiterer spannender Tag im Pflegedienst Hessen-Süd geht für mich zu Ende.

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